Revision des Bundesgerichtsentscheids 8C_329/2009 vom 04.11.2009, Pilatus XVI

Pilatus – Railway Chemin de Fer – Farblithographie Ernst Karl Otto (1884 – 1967)

Bangkok, 21.03.2022

Lieber J.

Vorgestern, am Sonntag-Morgen dachte ich spontan an Dich und wollte Dich um einen Gefallen bitten, in einer unglaublichen und schier endlosen Militärgeschichte mir etwas Unterstützung und Rückendeckung zu geben. Und wie ich nach Deiner Adresse google, recherchiere, finde ich einen ganz aktuellen Podcast «Leben-was-geht.ch» – Ja, das geht mich was an, mit Dir. Nun, plötzlich bin ich es, der Dir etwas geben will: Während ich vor dreieinhalb Jahren still mit Dir getrauert habe – auch als Vater – Deinen Verlust geteilt hatte, so wurde mir erst vorgestern wirklich bewusst, dass Dein Gregory nicht an einer Krankheit oder an einem Unfall sein Leben verloren hatte, sondern aus eigenem Antrieb «das Spiel des Lebens – mit all’ seinen Regeln und Verbindlichkeiten nicht mehr mitspielen wollte.

Stell’ Dir vor, diese Woche telefonierte ich mit unserem damaligen Kadi, dem Kompaniekommandanten B. Mit ihm besprach ich, was mich vor dreissig Jahren aus dem System geworfen hatte. Ein äusserst erbauliches, offenes Gespräch! Und gleich  tags darauf legte er sich für mich ins Zeug, indem er unseren damaligen Instruktionsoffizier, Christoph Unterfinger, Hauptmann a. D. kontaktierte und sodann nach den Lichtbildern, den Dias nachfragte, die Klarheit darüber geben können, unter welchen wettermässigen Bedingungen meine lebenslange, unheilbare Krankheit (Morbus Bechterew) damals beim Iglubau und in der Igluübernachtung ausgebrochen war.

Einen Tag später, am Montag, den 14.03.2022, telefonierte ich mit unserem ehemaligen Schulkommandanten Oberst Hans Gall, Divisionär a. D.: Auch mit ihm hatte ich ein äusserst aufschlussreiches Gespräch. Dass der Militärversicherungsfall, am 04.11.2009 vor Bundesgericht beurteilt worden, inzwischen in einem Revisionsbegehren erneut angeschaut werden muss, das wusste er bereits aufgrund einer Korrespondenz, die ich ihm anfangs Februar 2022 zugestellt habe – Zwischenzeitlich sei das Vernehmlassungsverfahren durchgeführt worden, und ich habe vom Kantonsgericht die Gelegenheit schriftlich bekommen, eine Replik einzusenden.

Mitte letzter Woche telefonierte ich dann auch noch Martin Rütschi, Deinem ehemaligen Unteroffizierskameraden in Losone. Während er letztes Jahr noch volles Verständnis hatte für mein Anliegen, kehrte dies beim letzten Gespräch: Er forderte von mir «1 Argument», wollte von mir hören, weshalb ich nach sovielen Jahhren mich noch immer mit diesem Fall befasse!

Schau’ Jean-Pierre: Vor ~ eineinhalb Jahren teilte ich drei Personen meine Absicht mit, vom Dachgeschoss der Schweizer Schule in Bangkok zu springen – den Blogartikel vom 25.11.2021 auf meiner persönlichen Webseite www.staatsschreiber.com kannst Du dazu nachlesen. (Der Artikel beginnt mit dem Scherenschnitt von Henri Matisse.) Ein wunderbarer Zufall, dass mich ein Namensklon bediente, wie mein Freund Daniel Schärer, hiess auch er Daniel Schärer(!).

Was die tieferen Beweggründe für die Handlungen der Menschen in diesen modernen Zeiten sind lässt sich oft nicht schlüssig uns ergründen. Dass ich mich schliesslich fürs Leben und nicht für das «Nichtleben» entschieden habe, das verdanke ich einem Zufall, einem Namensträger. Du siehst also: Das «1 Argument», weshalb ich dreiunddreissig Jahre nach dem längeren Militärdienst den Fall erneut aufrolle – sozusagen wie Sisyphus einen Felsblock auf ewig einen Hügel, einen Berg hinaufrollen muss – verdanke ich dem oe Zufall.

Natürlich ist mir bewusst, dass 35 Jahre nach unseren gemeinsamen Diensttagen eine sehr lange Zeit ist – im Militär gelten Regeln, die sind zeitlos – weshalb Martin Rütschi damals unehrenhaft, fristlos vom Gradabverdienen als Sanitätskorporal von der Armee entlassen worden war, dieses Narrativ wollte er letzte Woche nicht mit mir teilen. Stattdessen erzählte er, später habe er weitergemacht, den Leutnant und den Oberleutnant-Grad auch noch erhalten. 35 Jahre nach unserem gemeinsamen Militärdienst hätte der damalige Korporal Martin Rütschi mir doch «seine Anekdote» erzählen dürfen, auch wenn damals möglicherweise «Stillschweigen» vereinbart worden war. Und wenn er zu späterem Zeitpunkt auch noch Oberleutnant gewesen, geworden war, dann noch umso mehr!

Meinen Anteil an der Kommunikationskorrespondenz habe ich geliefert: Wie einen Stafettenstab, teile ich Dir mit – der Du jeden Tag an Deinen verlorenen Sohn denkst – und glaub’ mir, J., ich teile mit Dir den Schmerz und sende mit guten Gedanken an Gregory Dir Trost und Kraft – gibt es für uns Menschen ganz schwierige Aufgaben zu meistern, und mit dem guten Bildungssystem, auch dem Milizsystem, werden wir Schweizer Bürger auf solch’ schwierige «Tasks», Aufgaben vorbereitet und herangeführt, sodass wir befähigt werden, immens schwierige Lebenshürden zu überspringen, uns auf unwegigem Terrain zu bewegen; manchmal aber fehlt uns eine solche Überlebenslektion und dann kann es eben vorkommen, dass kurz und gut 35 Jahre verstreichen, … weil ein Wangenschleimhautabstrichresultat blödsinnigerweise herausposaunt worden ist etc., etc….

Kannst Du mir den zu Beginn eingeleiteten Gefallen machen und Martin mein «1 Argument» mitteilen, nämlich, dass ich am Leben bin und auch den Rest des Lebens noch am Leben teilhaben will und für die Aufarbeitung die Entwicklung des Dias, des Lichtbildes für mich enorm wichtig ist: Dir würde Martin den Gefallen nicht ab- resp. ausschlagen und B. schrieb mir heute, das Dia sei auf dem Weg.

♥-liche Grüsse aus Fernost

Fabian

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